Der Silberbaum von Karakorum – ein Meisterwerk der Mongolei-Geschichte
Der Silberbaum von Karakorum – Mongoleis vergessene Legende
Mitten im einstigen Zentrum des Mongolischen Weltreichs, in Karakorum, stand ein technisches und künstlerisches Wunderwerk: der sagenumwobene „Silberbaum“ (mongolisch: „Mongon Mod“). Errichtet im Palast des Großkhans Moengke, vereinte er symbolische Darstellung, Kunst und Funktion in einer einzigartigen Skulptur. Heute erinnern nur noch Überlieferungen und Darstellungen an dieses Meisterwerk der Mongolei-Geschichte – doch sein Mythos lebt fort.
Ein Baum aus Silber im Palast des Großkhans
Die berühmteste Beschreibung des Silberbaums stammt vom französischen Mönch und Gesandten Guillaume de Rubrouck, der zwischen 1253 und 1255 Karakorum besuchte. In seinen Aufzeichnungen schildert er den Baum detailliert: Er sei im Thronsaal des Palastes von Moengke Khan aufgestellt gewesen, umgeben von Flügelwesen, silbernen Löwen, goldenen Drachen und einem ausgeklügelten Ausschanksystem. Der Baum hatte vier silberne Wurzeln, aus denen je ein silberner Löwe Milch aus einer Stute speite. Vier vergoldete Drachenköpfe in der Baumkrone gaben vier verschiedene Getränke aus: Wein, vergorene Milch, Honigmet und Reiswein. Der Ausschank wurde durch eine in den Baum eingebaute Blasinstrument-Figur ausgelöst – sobald sie ertönte, hoben Palastdiener die Gefäße, und aus den Drachenmäulern floss das Getränk.
Ursprung, Bauweise und Symbolik
Der Baum war das Werk des französischen Goldschmieds Guillaume de Buchier, der nach seiner Gefangennahme durch die Goldene Horde an den Hof Moengkes gebracht wurde. Laut Rubrouck bestand der Baum aus massivem Silber und war mit Blättern, Früchten und Tiermotiven reich verziert. Um den Stamm schlang sich ein vergoldeter Drache, in der Baumkrone saß ein geflügelter Engel mit Trompete – später oft als „Siegesgöttin Victoria“ oder Schutzengel interpretiert. Der Baum war keine Außenskulptur, sondern stand im Inneren des Palastes, in einem von Oegedei Khan erbauten Empfangssaal. Rubroucks Aufzeichnungen wurden später in zahlreichen europäischen Werken zitiert, darunter auch in der „Atlas historique et géographique“ von Pierre Bergeron (1753), mit einer Illustration eines holländischen Künstlers, die sich an Rubroucks Text orientiert.

Vom Silberbaum zum modernen Kulturerbe
Der Baum war nicht nur dekorativ: Er war ein Zeichen von technologischer Raffinesse, kultureller Vielfalt und Machtentfaltung der mongolischen Kaiserzeit. Laut Rubrouck wurde der Erbauer Guillaume de Buchier für seine Arbeit mit 100 Silberbarren (geschätzt rund 250 kg Silber, heute etwa 200.000 US-Dollar) entlohnt – ein enormer Betrag im Mittelalter. Weitere Beschreibungen finden sich in der Geschichtensammlung von Rashid al-Din, der die Figur in einem islamisch-mongolischen Kontext als „geflügeltes Wesen in mongolischer Kleidung“ darstellt – eine Darstellung, die auch in georgischen und persischen Miniaturen dieser Zeit auftaucht.
Wiederentdeckung & Neuauflage der Rubrouck-Berichte
Rubroucks „Bericht über die Reise ins Mongolische Reich“ wurde 1993 von der Französischen Nationalbibliothek neu veröffentlicht. Als Präsident Punsalmaagiin Ochirbat 1996 Frankreich besuchte, überreichte ihm Jacques Chirac ein Exemplar persönlich. Die französische Seite finanzierte eine mongolische Übersetzung, die 2000 durch den Historiker und Diplomaten T. Temuujin erschien – heute ein seltenes Sammlerstück. Anlässlich des 800-jährigen Jubiläums von Karakorum im Jahr 2020 wurde das Werk erneut veröffentlicht – mit Unterstützung der nationalen Designmarke Tavan Nuden, die sich für den Erhalt mongolischen Kulturerbes einsetzt. Auch in der Dokumentation „Auf der Spur des verlorenen Baums“ wurde der Silberbaum eindrucksvoll rekonstruiert und filmisch gewürdigt.


Der Silberbaum – mongolisches Kulturerbe zwischen Geschichte und Legende
Der Silberbaum von Karakorum ist mehr als nur eine historische Anekdote – er ist ein Symbol für die kulturelle Blütezeit der Mongolei, für internationale Verbindungen im 13. Jahrhundert und für das, was Technik, Kunst und Macht damals bereits vereinen konnten. Für alle, die sich für Karakorum Sehenswürdigkeiten, mongolische Geschichte und die Ursprünge der Nomadenkultur interessieren, gehört der Silberbaum zu den faszinierendsten Kapiteln überhaupt.
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